01.09.2019

Parlamentarische Propaganda

Heute wurde in zwei Bundesländern gewählt. Die ersten Ergebnisse sind jetzt raus und die Medien haben bereits mit der Deutung der Ergebnisse begonnen. Überall wird von «Demokratie» geredet, von einer Wahlniederlage für die einen, einem Wahlsieg für die anderen. Manche Kommentatoren fragten sich, ob bestimmte Regionen «demokratieunfähig» seien, während andere dies verneinten. Die Verlierer tun so, als hätten sie nicht verloren. Die Wahlsieger interpretieren ihren Sieg als «Wende» oder den Anfang «einer neuen Politik». Dass sie bei der geringen Wahlbeteiligung überhaupt auf die Idee kommen, den Wahlen eine derartige Bedeutung beizumessen, spricht Bände. Journalisten, Wirtschafts- und Politikwissenschaftler, die Politiker sowieso, wollen nun aus ihrer privilegierten Position das Wahlverhalten des einfachen Volkes deuten, dabei bemühen sie oft und teilweise mit Leidenschaft das Wort «Demokratie» – jedoch ohne den Zuschauern zu erklären, was das nun sein soll, für das die einen und gegen das andere gekämpft haben sollen, sprich ohne eine Definition der «Demokratie» zu liefern. Dass Politiker diese Masche abziehen, ist verständlich, schließlich leben sie von der weit verbreiteten Vorstellung, dass Deutschland eine Demokratie, sie selbst Demokraten sind, und überhaupt ist alles heute demokratisch. Dass die Medien da mitmachen, auch das ist verständlich, denn sie sind die Multiplikatoren der offiziellen Staatspropaganda und tragen diese in unsere Häuser.

Unverständlich ist jedoch, dass die Wissenschaftler, allen voran die Politikwissenschaftler, auf der gleichen Welle reiten und die Vorstellung bestätigen, dass wir in einer Demokratie leben. Wir leben also in einer Demokratie. Mit Parteien, Ideologien, Parlamenten und Wahlen. In einer Demokratie. Ohne Bürger, ohne Volksversammlung, ohne gleichen Anteil aller Bürger an der Macht (Isokratie). Weil die meisten Menschen unter «Demokratie» nur das verstehen, was ihnen seit ihrer Kindheit von Lehrern, Politikern und Beamten dazu gesagt wurde, kommen die Wissenschaftler mit ihrer «staatstragenden» Nummer davon. Den Menschen ist das nicht anzulasten, denn wer von klein auf mit der Vorstellung aufwächst, dass der Parlamentarismus Demokratie ist, geht selbstverständlich davon aus, dass er in einer Demokratie lebt, zumal er von den Schulen, Behörden, Parlamenten und Medien dauerbeschallt wird und keinen Grund hat, von einer Wirklichkeit hinter der sozial konstruierten Wirklichkeit der Gesellschaft auszugehen. Sie denken, dass sie in einer Demokratie leben, obwohl sie nicht genau wissen, was das ist, weil es ihnen niemand erklärt. Aber die Gedanken in ihren Köpfen sind nicht ihre eigenen, sondern das, was die Regierenden in ihnen gepflanzt haben, als sie noch jung und daher geistig wehrlos waren. Viele dieser Kinder werden später Politiker und glauben aufrichtig daran, in einer Demokratie zu leben. So kann die parlamentarische Propaganda ungehindert und ohne jeglichen Widerspruch ihren Siegeszug antreten – und das noch im Gewand der Demokratie. Es gibt wohl kein Wort, das so oft geschändet und in die Gosse gezerrt wurde wie die Demokratie, ganz besonders von den Darstellern, die das Fernsehen uns als «die Regierenden» verkauft. Doch weder die Regierenden noch ihre Regierenden geben uns eine Definition der Demokratie. Auch das ist nur verständlich: Je ungenauer sich einer ausdrückt, je dehnbarer die Begriffe, desto besser kann er betrügen. Da aber das Betrügen das «täglich Brot» der Politiker zu sein scheint, wären sie Narren, wenn sie etwas daran ändern würden.

Welche Rolle spielen aber die Wissenschaftler in diesem Theaterstück? Wie können Menschen, die die Bedeutung des Wortes «Demokratie», vielleicht sogar die Geschichte der Demokratie im antiken Griechenland kennen, den Parlamentarismus als Demokratie ausgeben und auf diese Weise die Demokratie für den Parlamentarismus verantwortlich machen? Oder wissen sie nicht, was Demokratie ist? Vielleicht mag das ja auf den einen oder anderen Politikwissenschaftler zutreffen, aber auf alle? Falls sie es nicht wissen, reden sie über Dinge, die sie nicht verstehen. Falls sie es wissen, ist ihre Arbeit für den freien Menschen bedeutungslos. Letztendlich spielt es keine große Rolle.

Es sind also nicht nur die «Politik» und die Medien, die sich in regelmäßigen Abständen der Lächerlichkeit preisgeben. Auch die Wissenschaftler machen sich immer mehr unglaubwürdig und bringen damit auch ihre Disziplin in Verruf. Die Zeiten sind, wie sie sind. Das bedeutet für uns, dass wir an alles und allem, was uns serviert wird, zweifeln und nichts für bare Münze nehmen sollten. Wir sollten auch unsere Freunde und Bekannte dazu animieren, zu zweifeln, gut zuzuhören und zu denken. Alle wollen in unseren Kopf, um dort ihre Meinung zu platzieren. Wir aber sollten uns in Selbstachtung üben und genau überlegen, welche Inhalte wir unserem Geist zumuten wollen. Wie sollen wir uns entscheiden? Nun, ich denke, wir müssen uns zuallererst bewusst machen, dass alles zunächst eine Meinung ist. Alles ist Meinung. Dann müssen wir überprüfen, ob diese Meinung gut, sinnvoll und wahr ist. Eine solche Meinung können wir beispielsweise daran erkennen, dass sie klar und stringent ist. Titel, Ansehen, Beliebtheit des Meinungsäußerers müssen in den Hintergrund treten, zumal diese Faktoren Blender sind und viele Politiker einen Titel tragen, hohes Ansehen genießen und bei ihren Untertanen beliebt sind. Trotzdem prostituieren sie sich für Kapitalgesellschaften, begehen systematisch Beihilfe zum Mord (Rüstungsexporte an Diktaturen), betreiben eine staatlich organisierte Menschenverachtung (Hartz IV) und halten an der Sklaverei (Leiharbeit) fest. Wir stellen fest, Titel, Ansehen und Beliebtheit sind keine Indikatoren für Tugend oder Selbstachtung.

Wir hören der Meinung zu, die wir für würdig befunden haben und bleiben von allem innerlich unberührt, was unter der Würde unseres vernunftbegabten Wesen ist. Anders geht es nicht, denn wir leben in perfiden Zeiten. Auf der anderen Seite hat das etwas Gutes: unter dem Druck der Notwendigkeit werden wir gezwungen, wieder für uns selbst zu denken. Zu oft haben wir das Denken anderen überlassen, wurden verleitet, so zu denken, wie andere es von uns erwarteten, damit diese ihre Interessen wahren, ihre eigenen Ziele erreichen können. Jetzt müssen wir uns wieder unseres Verstandes bewusst werden und den Mut finden, uns unseres Verstandes auch zu bedienen. Das ist, gemessen am Zeitgeist, beinahe ein Akt der Rebellion. Eine Revolution. Vielleicht ist es genau das, was wir jetzt brauchen: eine Revolution der Vernunft. Zu oft haben wir uns von schönen Reden, Emotionen, Gestik, Mimik und Schlagwörtern in die Irre führen lassen und uns bewusst oder unbewusst gegen unsere vernunftbegabte Natur versündigt. Jetzt müssen wir unseren Verstand zurück erobern, bestimmen, wie unser bewusstes Denken von nun an auszusehen hat, entschieden nach der Schaufel greifen und mit kräftigen Bewegungen das Zeitalter des blinden Glaubens und Gehorsams beerdigen. Die Perfidie unserer Zeit, der «Politik» ist evident. Lüge und Falschheit durchdringen alles gesellschaftliche Leben. Niemand wird uns davor bewahren, niemand retten oder befreien. Wir sind auf uns selbst angewiesen. Die Frage, die wir uns stellen müssen, heißt: wie wollen wir dem begegnen, d.h. in welcher Beziehung wollen wir zu diesem Phänomen stehen? Schlussendlich geht es genau darum: wollen wir an dieser Schlechtigkeit partizipieren oder ihr entgegentreten? Nur der denkende Mensch kann eine Antwort auf diese Frage geben. Es ist höchste Zeit, dass wir alle denkende Menschen werden. Denn wer nicht selber denkt, für den wird gedacht.