28.12.2018

Pater Paisios: Hass, Verschwörungstheorien, Menschenverachtung

Mit Entsetzen musste ich vor wenigen Tagen feststellen, dass im deutschsprachigen Internet seit zwei Jahren die sogenannten «Prophezeiungen» des bekannt-berüchtigten orthodoxen Mönchen Pater Paisios (1924–1994) verbreitet und besprochen werden, der als Asket sein Leben in der Mönchsrepublik Athos verbracht hat. Diese Verbreitung erfolgt ohne Quellen, ohne irgendwelche Daten, ohne die Angabe irgendeiner Bibliographie. Pater Paisios, eigentlich Arsenios Eznepidis, genoss großes Ansehen in Griechenland und wurde wegen seiner Frömmigkeit von den griechischsprachigen orthodoxen Christen sehr geachtet, die ihn bereits zu Lebzeiten wie einen Heiligen verehrten, obwohl er erst 2015 offiziell heilig gesprochen wurde. Seit den 90er Jahren kursieren die unglaublichsten Geschichten über seine Heilkräfte und die Wunder, die er angeblich vollbracht hat.

Er soll sterbenskranke Menschen geheilt, dem Teufel die Stirn geboten und Ratsuchenden die Zukunft prophezeit haben. Seine Anhänger glauben außerdem, dass er sich von einem Ort zum anderen teleportieren konnte. Es gibt wohl kein Dorf in Griechenland, wo er nicht bekannt ist und in dem keine frommen Geschichten über diesen Menschen erzählt werden. Jeder, der in Griechenland lebt oder in einer griechischsprachig-orthodoxen Familie aufgewachsen ist, hat von ihm gehört, und erlebt, wie ehrfürchtig die Gläubigen über ihn reden. Seine Botschaften wurden in Fernsehsendungen, auf YouTube ausgestrahlt, in Magazinen und Zeitungen gedruckt. Das Internet quillt über von Videos, wo Menschen, die den Mönch getroffen und persönlich gesprochen haben, über seine Wunderkräfte und vor allem über seine Prophezeiungen berichten. Denn es sind vor allem diese Prophezeiungen (über einen letzten Krieg zwischen Griechenland und der Türkei, aber auch über den 3. Weltkrieg), die ihn so bekannt und populär gemacht haben. Ein Video mit seinen Prophezeiungen über die Rückeroberung Konstantinopels wurde 2,1 Millionen Mal angeklickt. Nur zum Vergleich: Griechenland hat elf Millionen Einwohner. Mittlerweile gibt es auch viele deutschsprachige Videos über «Altvater Paisios vom Berg Athos» (siehe Links), die ihn verklären und als liebenswürdigen alten Mann darstellen, der nur Gutes im Sinn hatte.

Moderatoren, Journalisten, die Medien allgemein haben dazu beigetragen, dass seine Wundergeschichten in ganz Griechenland bekannt wurden. Nie wurden diese «Wunder» kritisch hinterfragt, nie seine Botschaften aufs Korn genommen oder gar all seine anderen Behauptungen kritisiert, die an Naivität und Absurdität eigentlich nicht zu überbieten sind. Alle Geschichten wurden als Tatsachen hingenommen, geglaubt, mit unglaublicher frommer Naivität ausgestrahlt und kommentiert. Kritisches Hinterfragen war unerwünscht, weshalb sich die Journalisten auch wie Gläubige auf einer Mission gerierten. Ihre Mission: Die Botschaften des Pater Paisios bis in die letzten Winkel Griechenlands zu tragen und auf diese Weise die Orthodoxie, die «wahre Religion», zu stützen. Das ist ihnen auch gelungen, sehr zum Missfallen kritisch denkender Menschen, die über diesen Jahrzehnte andauernden «Hype» sichtlich genervt sind. Und das aus gutem Grund. Denn die Botschaften und Prophezeiungen des Mönchen sind nicht nur naiv, wie alle Heiligenviten der Orthodoxie, sondern sehr gefährlich, denn sie heizen die religiöse Intoleranz und das außenpolitische Klima in Griechenland an; sie befördern die Rivalität und erschweren eine rationale, kluge Außenpolitik zur Lösung der Spannungen in der Ägäis. Diese Prophezeiungen werden nicht offen angezweifelt oder gar in den Wind geschossen. Ihnen kann keine Wahrheit abgesprochen werden, schließlich «hat es Pater Paisios gesagt». Diese Phrase ist ein Dauerbrenner in vielen Diskussionen: «Pater Paisios» hat dies gesagt, Pater Paisios hat jenes gesagt, also stimmt es. Wenn Politiker und Offiziere sich von derartigen Prophezeiungen blenden lassen, ist die Katastrophe eigentlich vorprogrammiert. Denn in Griechenland ist die Kirche nicht nur Religionsgemeinschaft, sondern ein politischer Faktor, der Regierungen stürzen kann. Es gibt auch andere Mönche und Würdenträger der Kirche, die immer wieder durch Hasstiraden, Verschwörungstheorien und Prophezeiungen auf sich aufmerksam machen. Aber die Geschichten um Pater Paisios haben jedes Maß verloren.

Pater «Pastitsios»

Das wurde auch Filippos Loizos irgendwann zuviel. Der junge Mann hat eine «neue» Wundergeschichte des «Heiligen» frei erfunden und ins Internet gestellt. So soll Pater Paisios einen 18-jährigen Drogenabhängigen geheilt haben, als dieser von einem Auto angefahren und in die Intensivstation eingeliefert wurde. Daraufhin hatte die Mutter des jungen Mannes eine Handvoll Erde vom Grab des «Heiligen» genommen und unter das Kissen ihres kranken Sohnes im Krankenhaus platziert. Prompt stellte sich eine Verbesserung seines Gesundheitszustandes ein. Der junge Mann wurde wieder gesund. In Wahrheit hatte es natürlich keinen Unfall und auch kein Wunder gegeben. Aber das wusste niemand. Die Geschichte verbreitete sich von Webseite zu Webseite, von Blog zu Blog. Die rassistische und antisemitische Zeitung «Eleftheri Ora» brachte die Geschichte sogar auf ihre Titelseite (10.08.2012). Irgendwann meldete sich Loizos mit der Meldung, dass die Geschichte erfunden sei. Er meldete dies auf der von ihm gegründeten satirischen Facebook-Seite «Gerontas Pastitios». Loizos nimmt es mit der Religion nicht so ernst und sieht in «Paisios» ein künstliches Phänomen, das dazu dient, die Gläubigen zu «manipulieren, auszubeuten und zu fanatisieren» (Im Interview mit VICE). Die Gläubigen haben das jedoch nicht so gut aufgenommen, es ging ein Aufschrei durch das Internet. Die Gläubigen fühlten sich durch den jungen Mann bloßgestellt und verspottet, wenngleich dieser sich über den religiösen Fanatismus in Griechenland lustig machte und auf die Leichtgläubigkeit der Frommen hinweisen wollte. Doch das sollte nur der Anfang einer ganz anderen Geschichte werden.

Nach der Intervention des Abgeordneten der orthodox-faschistischen Goldenen Morgenröte Christos Pappas, der dem damals noch unbekannten Gründer der Facebook-Seite vorwarf, dass er die Galionsfigur «der Hellenorthodoxie» zu «beleidigen, verspotten und lächerlich zu machen versucht», wurde die datenschutzrechtliche Anonymität des Loizos aufgehoben und dieser strafrechtlich belangt. Am 21.09.2012 klopften vier Polizeibeamte und ein Staatsanwalt an seiner Tür. Er wurde aufgefordert, die Seite «Gerontas Pastitios» zu schließen, was er dann auch gemacht hat, sein PC wurde beschlagnahmt und er selbst abgeführt. Am 16.01.2014 wurde Loizos zu einer Freiheitsstrafe von 10 Monaten und 3 Jahren auf Bewährung verurteilt. Der Grund: «Religionsbeleidigung». Loizos legte Berufung gegen das Urteil ein. Seine Verurteilung hat eine Welle der Empörung im In- und Ausland ausgelöst. Menschen aus aller Welt solidarisierten sich mit Loizos. Die «Griechische Union für Menschen- und Bürgerrechte» und Amnesty International kritisierten und verurteilten die Verhaftung und Verurteilung von Loizos. Es wurden wieder Stimmen laut, die die Zerschlagung der theokratischen Strukturen in Griechenland forderten. Die Verurteilung entwickelte sich zu einem Justizskandal. Am 02.03.2017 wurde die Berufung der Angeklagten verhandelt. Das Gericht in Athen stellte die Anklage mit der Begründung ein, dass die Straftat verjährt sei.

Leider führten die Berichterstattung über den Prozess, das Urteil des Gerichts in Athen und die Debatte über die notwendige Streichung des «Blasphemie-Paragraphen» nicht dazu, die Person des Pater Paisios zu durchleuchten und seine Prophezeiungen endlich auf den Prüfstand zu stellen, dabei wäre das dringend notwendig. Wer war dieser Mann, dessen Prophezeiungen, Ratschläge und Wunder so weit verbreitet sind und weiterhin fleißig weiter verbreitet werden? Was hat er wirklich gesagt? Kann man ihn überhaupt ernst nehmen? Die Antwort lautet: Nein. Doch so problematisch der Fall Paisios ist, er ist nur ein Symptom für den Einfluss des Klerus und der Mönche auf die Gesellschaft in Griechenland.

Der Mann Paisios

In seinem sehr bekannten Buch «Ο πατήρ Παϊσιος μου είπε...» («Pater Pasios hat mir gesagt...») (10. Aufl., Verlag Orthodoxos Kypseli Thessaloniki, Thessaloniki 2001) schreibt der Autor und gläubige Christ Athanasios Rakovalis seine Gespräche mit dem Mönch auf, Gespräche, wohlgemerkt, die einem das Blut in den Adern gefrieren lassen und die doch so typisch sind für die Orthodoxie. So prophezeite der Mönch dem Autor, dass die «Türkei zerstört wird», dass es einen Krieg geben und Griechenland gewinnen wird («Wir werden die Sieger sein, weil wir Orthodoxe sind»). Am Ende wird Konstantinopel wieder «uns» gehören. Der große Traum der griechischsprachigen Fundamentalisten und Nationalisten. Diese Prophezeiung wird bei jedem noch so kleinen Konflikt mit der Türkei hochgekocht und in Streitgesprächen sogar als Argument verwendet, um den Menschen die Angst vor dem Krieg zu nehmen, schließlich sehen sich die Fanatiker bereits als Sieger über den Feind triumphieren. Pater Paisios hat es gesagt. Paisios selbst träumte von der Wiedergeburt von Byzanz durch die Mönchsrepublik Athos (S. 75). Jede politische und militärische Spannung im Nahen Osten und in der Ägäis wird im Sinne dieser Prophezeiungen gedeutet, nicht nur von den einfachen Gläubigen, sondern auch von höchsten kirchlichen Würdenträgern. Die Theologie hat die Politik verdrängt, wobei Politik in Griechenland immer auch Theokratie und damit auch Theologie war.

Aber der Paisios sagte nicht nur die Zukunft voraus, er wusste auch wie Kinder zu erziehen sind. So sagt er dem Autor, dass die Eltern ihren Kindern zuerst einmal eine «gute christliche Erziehung» angedeihen lassen sollen. Das sei das Wichtigste. Danach sollte man sie auch «ein paar Buchstaben» lernen lassen (S. 37-38). Im Haus sollte man sowieso «nur christliche Bücher» haben (S. 50). Paisios wusste auch Krankheiten zu deuten. So erzählt der Autor von einem Bekannten des Mönchen, der auch Mönch werden wollte, aber noch mit dieser Entscheidung zu ringen hatte. Er suchte den Rat des Paisios, weil Angehörige seiner Familie krank wurden und er sich Sorgen darüber machte. Paisios sagte: «Solange er in der Welt verbleibt», wird «die Versuchung» (πειρασμός) den Gesundheitszustand seiner Leute verschlimmern, um ihn dazu zu bewegen, bei seiner Familie zu bleiben und doch kein Mönch zu werden. Der Teufel sieht die Schwäche des Menschen und schafft angeblich Situationen, «damit der Mensch niemals von der Welt wegkommt!» (S. 42). Doch der «heilige» Mönch konnte nicht nur Krankheiten deuten, er war auch in Komplementärmedizin bewandert. Er wusste, dass es zwei Schulen der Akupunktur gibt. «Die eine ist rein satanisch» und die andere macht einfach nur die Nerven kaputt und heilt so den Schmerz (S. 54-56). Woher er das wusste, wird wohl für immer sein Geheimnis bleiben. Wahrscheinlich war es göttliche Einsicht; sie erlaubt dir über Dinge zu sprechen, von denen du im Grunde nichts verstehst.

Von seiner Klosterzelle konnte Paisios auch einen Blick in die internationale Politik werfen. Der Autor klagt dem Mönchen, dass alle politischen Anführer Freimaurer seien. Der Mönch antwortet darauf: «Damit heute jemand Ministerpräsident wird, muss er Freimaurer sein...» (S. 66-67). Keine Angabe von Quellen, nichts. Er wusste das, einfach so. Wie er ja so vieles wusste und zu allen Dingen eine Meinung hatte. Dass alle Politiker Freimaurer oder Werkzeuge der Juden seien oder gleich dem Antichrist dienen, ist eine sehr verbreitete Verschwörungstheorie in Griechenland. So hat der auch in Deutschland bekannte Priester und Universitätsprofessor Georgios Metallinos am 9. Oktober 2011 vor Publikum und laufender Kamera erklärt, dass Königin Elizabeth die Anführerin «der Freimaurerei» sei. Paisios war zumindest in diesem Punkt keine Ausnahme. Manchmal, wenn er den «anderen» gerade die Dinge vorwarf, die für das Christentum so charakteristisch sind, zeigte er sich ungewollt (selbst-)ironisch. So berichtet er auf Seite 70 von einem Treffen mit einem Universitätsprofessor, der ihm sagte, dass er ernsthaft über die Möglichkeiten der Feuerbestattung nachdenke, um somit Platz zu sparen. Die Meinung des Paisios: «Sie wollen den Menschen erniedrigen, ihn entwerten. Ihn von seinen Wurzeln, seinen Vorfahren, seiner Tradition entfernen … Sie wollen die Gottlosigkeit verbreiten.» Paisios hat hier unbewusst eine genau Definition des Christentums geliefert. Denn das, was «sie» mit der Feuerbestattung angeblich vorhaben, ist spätestens seit 529 christliche Politik. Die Kirchen haben die Menschen erniedrigt, sie entwertet und mittels Massenmord und anderen Kleinigkeiten von ihren Traditionen und ihren Ahnen entfremdet. Aber das waren ja nur «Heiden», «Götzendiener», also schwamm drüber.

Paisios neigte nicht nur zur Verdrehung und Dramatisierung, er war auch ein Heuchler. Er warf anderen die «Erniedrigung und Entwertung» des Menschen vor und ging dann selbst dazu über, Menschen zu entwerten: «Wenn der Mensch Gott nicht liebt, dann liebt er auch seine Eltern nicht, nicht seine Nachbarschaft, sein Dorf, seine Heimat … Dieser Mensch ist wertlos.» (S. 74). Wenige Mönche oder kirchliche Würdenträger äußern sich so direkt. Und die Prophezeiungen und Botschaften dieses Menschen werden so unbedarft und ohne jede Skrupel im Internet verbreitet. Aber nicht alle Leute, die seine frohen Botschaften in die Welt posaunen, wissen, was dieser Mann alles gesagt und gelehrt hat, vor allem dann nicht, wenn sie aus Deutschland oder den anderen deutschsprachigen Ländern stammen und Griechisch nicht ihre Muttersprache ist. In Griechenland sieht es anders aus. Einige wissen es und ignorieren die peinlichen Stellen (gibt es Stellen, die nicht peinlich sind?), andere feiern ihn gerade wegen dieser Stellen, während die kirchlichen Seiten sie mehr oder weniger verschweigen. Dabei hatte Paisios die Grenzen des Unerträglichen ganz klar überschritten. So lesen wir auf den Seiten 73-74, wie der Autor dem Mönchen sagt, dass viele Kinder in Athen verschwinden würden. Angeblich wurden sie von «verschiedenen Organisationen» entführt. Was machen die mit ihnen?, fragt Paisios. Am Ende tötet man sie, antwortet der Autor. Darauf antwortet Paisios: «Ja, auch die Juden tun das; sie durchlöchern sie mit Spießen und trinken ihr Blut». Dieser Judenhass ist charakteristisch für die Orthodoxie. Der Antisemitismus ist in Griechenland sehr stark ausgeprägt, entsprechende Vorurteile sind in allen gesellschaftlichen Schichten verbreitet. Es gibt viele Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit, die das belegen. Ein Beispiel ist der Metropolit von Piräus Seraphim und seine kruden Thesen über die jüdische Verschwörung (siehe unten). Auch er verbreitet Verschwörungstheorien, in denen Freimaurerei und Zionismus die Hauptrollen spielen. Die Neue Zürcher Zeitung (5.9.2019) nannte ihn einen notorischen Antisemiten. Eigentlich ist Seraphim kein Antisemit, er ist lediglich gegen alle, die anders denken, gegen alles, das anders ist und sich somit von seiner Orthodoxie unterscheidet. Berühmt wurde Seraphim im deutschsprachigen Raum durch sein Interview mit dem griechischen Privatsender Mega, wo er behauptete, dass die «Zerstörung der Familie» (durch die «Alleinerziehenden» und «die homosexuellen Partnerschaften») das Ziel des «internationalen Zionismus» sei und «Adolf Hitler ein Werkzeug des internationalen Zionismus war». Meistens schaffen es die Hasstiraden oder Gewaltaufrufe der orthodoxen Bischöfe nicht in die ausländischen Medien, aber Seraphim hatte mit diesen Äußerungen den Vogel abgeschossen und einen Eklat provoziert. Auch die Äußerungen eines Paisios hätten für einen Eklat sorgen müssen, schließlich waren seine Äußerungen auch keine Ode an die Toleranz. Eigentlich muss über diesen Mönch nichts mehr gesagt werden. Leider gibt es da mehr zu sagen, viel mehr.

Paisios sah überall das Wirken böser Mächte, sah Griechenland gar von finsteren Mächten umkreist, wie so viele Pfaffen. «Alle bekämpfen diesen Staat!! Sie wollen ihn zerstören!!... Jeder auf seine Weise... Der eine, indem er keine Steuern zahlt, der andere, indem er seine Arbeit nicht gut macht … Sie wollen den griechischen Staat zerstören! Die Freimaurer, von denen du [meint den Autoren] sprachst und viele andere.» (S. 92). Auch diese Vorstellung ist weit verbreitet und wird mit solchen Äußerungen befördert und mit dem Glaubwürdigkeits-Siegel des Paisios versehen. Daher ist es gut, dass viele junge Menschen in den großen griechischen Städten die Kirche nicht mehr ernst nehmen und keinen Respekt vor den «Heiligen» haben, denn es handelt sich hierbei um eine irrationale Autorität, die den Verstand knechtet und die Vernunft aushebelt, was gerade in der heutigen Situation sehr gefährlich ist. Aber auch hier witterte Paisios das Wirken des Teufels. «Zuerst verleitet er dich dazu, über die Menschen zu urteilen, dann über deinen Beichtvater, dann über die Heiligen der jüngeren Zeit … und am Ende fängt man an, über Gott zu urteilen.» (S. 107). Und urteilen darf man nicht, das dürfen nur die «Heiligen», die das auch sehr gerne und sehr oft machen.

Immer wieder klagt Paisios über die Logik der Menschen, das kritische Denken. An vielen Stellen, nicht nur im Buch, auch in Artikeln im Internet, auf kirchlichen Seiten und Blogs, wo seine Reden und liebenswürdigen Botschaften verbreitet werden, fordert der Mönch eine Rückkehr zur Unschuld, zur «Einfachheit». Heute seien die Menschen überheblich, arrogant. Früher war das anders. Da waren die Menschen noch unschuldig. Was Paisios unter «Unschuld» und «Einfachheit» verstand, lesen wir auf der Seite 105 im Buch. Dort beschreibt er sehr anschaulich, wie «einfach» die Menschen damals waren. Er erzählt die Geschichte eines Busses, der zum ersten Mal in ein Dorf gefahren ist. Als der Bus dann im Dorf ankam, haben sich die Menschen um den Bus versammelt und versuchten diesen zu füttern. Der Autor fragt nach, ob die Dorfbewohner tatsächlich den Bus füttern wollten und Paisios antwortet: «Ja, ja!». Und in diese «Einfachheit» sollen wir also zurück kehren... Mit der Kritik an der Kirche und den «Heiligen» wäre es dann schlagartig vorbei, das ist sicher. Dabei ist Paisios selbst ein glänzendes Beispiel dafür, weshalb kritisches Denken und das Vertrauen in unseren Verstand so wichtig sind. Aber davon wollte der Mönch nichts wissen. «Wir sollten kein Vertrauen in uns selbst haben. Selbstvertrauen ist ein großes Hindernis für die göttliche Gnade» (S. 180), «die Logik macht den Glauben von der Wurzel aus kaputt» (S. 119). Wo er recht hatte, hatte er recht, das muss man ihm lassen. Wir sollen also nicht uns selbst vertrauen, unseren Verstand, sondern nur auf den lieben «Gott» vertrauen und damit natürlich auf seine Stellvertreter auf Erden. Dieser «Ratschlag» wurde für einen 99-Seiten langen Text bereits ins Deutsche übersetzt, der Teil mit den Juden freilich nicht (siehe den Link: Altvater Paisios vom Berg Athos). Da die Autoren aus dem gleichen Buch schöpfen, dürfen wir davon ausgehen, dass sie sehr wohl wissen, was für ein Mensch Paisios wirklich war; sie wissen, wessen Menschen «Botschaften» und «Ratschläge» sie verbreiten. Aber die Leute, die die Orthodoxie nach Deutschland bringen wollen, wissen auch ganz genau, welche Passagen zu übersetzen und welche lieber zu verschweigen sind, um u.a. einen Prozess wegen Volksverhetzung zu vermeiden. Denn dann würden auch keine Propaganda-Videos helfen.

Paisios war ein reinblütiger Repräsentant der berüchtigten Intoleranz der Orthodoxie. Er selbst berichtet, wie ihn einmal jemand zusammen mit seinem Schwager aus Deutschland besucht hat. Der Mönch fragte ihn gleich über den Glauben seines Schwagers aus. Der Mann musste seinen Schwager erst fragen, denn er wusste nicht, welcher Religion dieser angehörte. Gegenüber dem Autoren kritisiert der Mönch später diese «Gleichgültigkeit» («Er wusste  nicht, an was sein Schwager glaubte»). Als er dann erfuhr, dass der Schwager Protestant war, hat er ihn so richtig runtergeputzt. «Verloren sind sie und ihre Konfession … Mit der Gleichgültigkeit versuchen sie die Dinge aufzulockern, die Orthodoxie zu zerstören. Hinter ihnen stehen die Zionisten» (S. 114-115). Alle versuchen die Orthodoxie zu vernichten, sie ist so wichtig und auf der anderen Seite so bedrohlich für die «Herrschenden», dass sie unbedingt aus dem Verkehr gezogen werden muss. Das alte Mantra der orthodoxen Fanatiker, ein Relikt aus der dunklen Vergangenheit, das aufgrund einer fehlenden Aufklärung weiterhin in Griechenland wütet und den Leuten den Kopf verdreht. Auf der einen Seite sind sie unglaublich arrogant, überheblich, auf der anderen Seite rufen sie ständig und unaufhörlich zur Demut auf. Falls dies ein unbewusster Versuch sein sollte, ihre Überheblichkeit zu kompensieren, ist ihr Versuch offensichtlich gescheitert. Auch die vielbeschworene Nächstenliebe beißt sich mit ihrer Intoleranz. Ein gutes Beispiel dafür liefert der Autor des Buches selbst, der irritiert ist, weil es ihnen, den Orthodoxen, nach so «vielen Jahren nicht gelungen ist, diese Muslime [in Thrakien] zu assimilieren?!! Wir haben sogar den Staat auf unserer Seite...». Paisios erwidert lapidar: «Die ersten Christen haben die ganze antike Welt verändert, geformt. Wir heutigen Christen sind weichgekocht». (S. 132). Die alten Christen haben also die Welt «verändert». Da hatte er schon recht, das haben sie wohl getan.

Sie schämen sich also nicht um vergangene Verbrechen, sondern beklagen, dass der klägliche Rest Aufklärung, der nach Griechenland übergeschwappt ist, die Orthodoxie teilweise zivilisiert und ihrer Intoleranz Zügel angelegt hat. Aber was sollen wir von Menschen erwarten, die tatsächlich der Meinung sind, dass Gott die Hölle «aus Liebe zulässt», weil der Sünder nur unter seinesgleichen Trost finde und er sich im Paradies unwohl fühlen würde. Ja, im Paradies würden sich die Sünder geradezu «langweilen». Es wäre so, als würde man «irgendeinen Bettler» in einen «königlichen Palast» stecken, wo ihm alles unbekannt wäre, er nichts richtig zu gebrauchen wüsste, «sich unwohl fühlen, sich Sorgen machen, nicht in der Lage sein würde, mit den Palastbewohnern zu sprechen» und dort wohl leiden würde (S. 147). Wir sehen, Paisios hatte von seiner Klosterzelle aus aus einen wunderbaren Blick auf den Himmel oder, um es mit Deschner zu sagen: «Je größer der Dachschaden, desto schöner der Ausblick zum Himmel.»

Oder nehmen wir ein anderes Beispiel: das Thema Homosexualität. Für Paisios ist das nur eine «Leidenschaft» (pathos), er vergleicht sie mit einer «schlechten Angewohnheit», der man Herr werden könnte. Und wie wird man überhaupt erst schwul? Nun, auch hier kennt der Mönch die Antwort: Durch Zwang, und mit der aufkeimenden Lust gewöhne sich das Kind langsam an diesen Zustand (S. 155). Es ist ganz offensichtlich, dass der Mann nie etwas von «sexueller Orientierung» gehört, geschweige denn ein oder gar zwei Bücher über das Thema las. Er schwätzte, wie ihm der Schnabel gewachsen war. Ich frage mich, ob er überhaupt jemals etwas über die Themen gelesen hatte, über die er so viel referierte. Jedenfalls lassen seine «Botschaften» daran zweifeln und an seinen Verstand gleich mit. 

Ein paar Gedanken zum Schluss

Das Schlimme an der ganzen Situation ist, dass die Botschaften und Prophezeiungen dieses Mannes jetzt im deutschsprachigen Internet verbreitet und Paisios selbst als von «Gott» erleuchtet dargestellt wird. Statt dass die Menschen in Griechenland ihn endlich los werden, erreicht Paisios jetzt auch noch das deutschsprachige Ausland. Der heilige Mann, über den jeder eine Wundergeschichte zu erzählen hat, so unglaubwürdig, vernunftwidrig, beleidigend sie für den menschlichen Verstand auch sein mag. Eigentlich will ich nicht über Tote reden, sie können sich nicht wehren, und ihre Taten sprechen für sich. Aber Paisios und seine Anhänger haben genug Material hinterlassen, um sich eine wirklichkeitsadäquate Meinung von ihm bilden zu können, zumindest wenn man des Griechischen mächtig ist. Daher wissen die Betreiber der kirchlichen Seiten in Griechenland genau, wen sie da schmackhaft machen wollen, nun auch hier in Deutschland. Die deutschsprachigen Leser können sich in aller Regel keine wirklichkeitsadäquate Meinung über ihn bilden, weil sie keinen Zugang zur entsprechenden Literatur oder Online-Artikeln haben, des Griechischen nicht mächtig sind und deshalb nur die Zitate und Botschaften lesen können, die für sie übersetzt und nun auf allen möglichen Plattformen zur Verfügung gestellt werden. Aber was genau wird da übersetzt? Ein Blick auf die entsprechenden Seiten reicht aus, um zu erkennen, dass nur die Passagen oder Artikel übersetzt wurden, die kein Misstrauen oder Argwohn erregen. Das ist das Perfide an der Paisios-Propaganda im deutschsprachigen Internet (Videos, Webseiten, Blogs). Ist Paisios erst einmal da, zieht die Orthodoxie nach und versucht dann auch hier Fuß zu fassen. Er ist lediglich der Türöffner, der Rammbock, der das Tor aufbricht und die Bevölkerung der Intoleranz aussetzt, die nur dort in ihrer reinen Form auftritt und keiner Mäntelchen bedarf, wo das allgemeine zwischenmenschliche Klima und die gesellschaftlichen Bedingungen das zulassen oder fördern.

Hass, Fanatismus, Obskurantismus, Gegenaufklärung und Theokratie sind dann die Früchte dieser unschuldig anmutenden Saat, die je nach Feld mal so, mal anders gestreut wird, und langsam die Menschen vergiftet, ihren Verstand angreift und ihre Emotionen aktiviert. Damit lässt sich wunderbar Politik machen, nicht nur in Griechenland. Nur wenige haben diese Gefahr, noch weniger Leute die Verbindungen zwischen Nationalismus und Orthodoxie erkannt. Was von Weitem wie Balkan-Kitsch oder Folklore aussehen mag, bestimmt in Griechenland zum großen Teil die Politik und ist eine gesellschaftliche Macht, die nicht zu unterschätzen ist, gerade weil sie eine irrationale Autorität darstellt und auf einem Berg aus kreativer Geschichtsschreibung, Überschätzung und Misstrauen gegenüber der Aufklärung thront, von wo sie die Massen zu steuern und nach ihrem Geschmack zu formen sucht. Von hier aus ist es nicht mehr weit zum Autoritarismus.

Paisios ist kein Vorbild, zumindest nicht für die Menschen, die den Wert der Aufklärung und der Französischen Revolution kennen. Seine «Prophezeiungen» transportieren einen religiösen Nationalismus und Ethnozentrismus, der es nicht wert ist, verbreitet und an die Glocke gehängt zu werden. Er war der Vertreter einer Welt, die zu recht untergegangen ist. Deshalb bitte ich alle, die die Prophezeiungen und Botschaften dieses Mannes verbreiten, damit aufzuhören; sie sollen genau überlegen, was sie da eigentlich tun. War Paisios wirklich ein Mensch, dessen Botschaften es wert sind, verbreitet und beweihräuchert zu werden? Das Erbe, die Geschenke der Aufklärung und der Französischen Revolution sind viel zu wichtig, wurden mit großem Aufwand und Strömen aus Blut erkämpft, haben teilweise ihren Zweck erfüllt und Europa nach vielen Jahrhunderten der Finsternis aus dem Schlamm der Barbarei gezogen, um sie einfach so für die Einfalt und Bosheit eines Fanatikers in den Wind zu schießen.



Links
Ein Mönch, ein Wunder, ein Nudelauflauf
Keine strafrechtliche Verfolgung der Internetsatire „Mönch Pastitsios“
Griechischer Bischof hetzt gegen Juden
Ein Albtraum von Nationalismus und Orthodoxie
Griechenland: Metropolit Seraphim löst mit antisemitischen Äußerungen Skandal aus
Altvater Paisios vom Berg Athos (PDF)
YouTube: Vater Paisios - der Film
YouTube - Der heilige Berg Athos: "Der Weg zu Altvater Paisios"