Rezension zu: Gottfried Hierzenberger, Der Glaube der alten Griechen und Römer, Kevelaer 2003.
«Der
Glaube der alten Griechen und Römer» von Gottfried Hierzenberger
erzählt die verflochtene Geschichte von Polytheismus und Kulturtradition
in Hellas und Rom. In Wahrheit ist der Inhalt breiter gefächert, als
der Titel ahnen lässt. Herr Hierzenberger will zeigen, wie sich die
Religionen der Griechen und Römer entwickelt haben, aber parallel dazu
behält er die Bildung ihrer Kulturtradition im Auge, wohl wissend, dass
beides zusammengehört. Allerdings begnügt er sich nicht damit, Fakten
aufzuzählen und Ereignisse zu schildern, sondern er will auch
interpretieren. Das gelingt ihm aber nicht, dafür ist er zu tendenziös
(S. 8).
Er
hat es sich auch nicht leicht gemacht. Während die meisten Autoren mit
der archaischen Epoche beginnen und mit der hellenistischen schließen,
wagt er sich sehr weit in die Vergangenheit zurück, er nimmt nämlich
auch die Sesklo- und Kykladenkultur sowie auch die Minoische und
Mykenische Kultur mit ins Bild auf. Seine Fühler streckt er gar bis in
die spätere Antike. Damit hatte ich nicht gerechnet.
Das
Buch muss wohl für «Neulinge» geschrieben worden sein, aber auch Kenner
der Materie können durchaus von der Lektüre profitieren, denn die
Verflechtung von «Religion», «Tradition» und «Kultur» wird deutlich
akzentuiert und im richtigen Zusammenhang zueinander gestellt. Außerdem
widmet er sich der Minoischen und Mykenischen Kultur mit der gleichen
Aufmerksamkeit, die er auch der klassischen Zeit angedeihen lässt.
Manche Autoren behandeln die Minoische und Mykenische Kultur recht
«herzlos», als würden sie es kaum erwarten, sich bis zur archaischen
Zeit durchzuwursteln, um endlich in der klassischen anzukommen. Nicht so
Hierzenberger.
Im
Übrigen weiß er gut zwischen Kult und Mythologie zu unterscheiden.
Letztere hat einen «historischen Kern» (S. 9), sagt er. Diese Sagen
entstammen dem dem 3. Jahrtausend v.Z. und wurden erst um 800 von
Homeros und Hesiodos aufgezeichnet. Der Leser erfährt auch etwas über
die Linear-A und -B-Schriften, letztere wurde 1952 von Michael Ventris
entschlüsselt. Auf Linear-B-Täfelchen werden Zeus, Hera und andere
griechische Götter erwähnt.
Der
griechische Baum- und Vegetationskult hatte wohl in der Minoischen
Kultur seinen Ursprung. Im Kult der Minoer dominierten weibliche
Gottheiten, allen voran die Schlangengöttin. Ihre Statue wurde bei
Ausgrabungen wiederentdeckt und wird auf das 16 Jh. v.Z. datiert. Es
wurden aber noch ältere Statuen in Griechenland gefunden, wie zum
Beispiel die Statue des kykladischen «Harfenspielers» aus weißem Marmor,
die aus dem Jahr 2200 v.Z. stammt. Interessant ist, dass in der
«minoisch-mykenischen Kultur … Tieropfer fast völlig» fehlten,
Feueropfer unbekannt gewesen sind (S. 51). Die religiösen Entwicklungen
im griechischen Kulturraum werden verständlich erläutert. Auch der Sinn
von Orakeln und Mysterien wird gut erklärt.
Außerdem akzentuiert der Autor die Beziehung zwischen zerbrochenen Stadtstaaten und neuen Umbrüchen in der «Religion», die nicht zuletzt auch dem verstärkten Einfluss des Orients auf Hellas und Rom geschuldet sind (Kybele-Kult, Isis-Kult, Hermetik etc.). Es ist ihm recht gut gelungen, ein umfassendes Bild von der späteren panhellenischen und römischen Kultur zu vermitteln.
Die
Götter der Etrusker und Römer, die Hausgötter und Naturdaimonen, die
Bedeutung des römischen Ritualismus für die Religion, die
Aufgabengebiete der römischen Götter und die enge Verbindung zwischen
etruskischer und römischer Religion werden beleuchtet. Auch hier gilt
das Augenmerk des Autors der parallelen Entwicklung von «Kultur» und
«Religion». Auch über die römische Religion sind die meisten Menschen
schlecht informiert. Die Vorstellung, die römische Religion sei bloßer
Formalismus oder ein Handel mit Gott gewesen, ist nämlich ein
Missverständnis.
Wer
keine zu großen Erwartungen hegt, kann ruhig auf die Lektüre zugreifen;
in der versierte Leser werden sicher nichts neues lernen, jedoch könnte
der Blickwinkel des Autors auch für sie von Interesse sein.