Rezension zu: Philip Wilkinson / Neil Philip, Mythologie kompakt, München 2008.
«Mythologie
kompakt» ist ein einzigartiges, edukatives Buch. Wilkinson und Philip
haben eine wohlbedachte Auswahl an Mythen aus aller Welt getroffen; mit
ihrem unkomplizierten Schreibstil und den hochwertigen Bildern zum Text
gelingt es ihnen, einen guten Eindruck von der Lebendigkeit und
Schönheit der Mythologie zu vermitteln. Die Autoren bringen ihren Lesern
auch etwas über die Geschichte und die Götter jener Ethnien bei, deren
Mythen sie hier gekonnt nacherzählen, ohne sie in «tiefere Gewässer» zu
ziehen. Im Übrigen merkt man ihnen ihre Achtung und Faszination für die
Mythen an, und das rechne ich ihnen hoch an.
Selbstverständlich
erzählen sie nicht nur Mythen aus China, Japan oder Ozeanien, sondern
auch, und gleich zu Beginn, die Sagen der Griechen, Römer und Etrusker,
über die anatolischen Götter Mithras und Kybele (S. 94-95) und die der
Ägypter. Die Kultur der Etrusker wird sehr spannend erzählt; die
etruskische Kultur bildete die Grundlage für die römische. 362 vor
unserer Zeitrechnung wurde ihre Hauptstadt Veji von den Römern
eingenommen, danach gingen die Etrusker in der römischen Republik auf.
Der Einfluss ihrer Götter auf die der Römer ist kaum zu überschätzen. In
Anbetracht der Unmenge an keltischen, griechischen oder römischen
Sagen, meinen manche, von den europäischen Mythen seien genug übrig
geblieben, doch der Schein trügt. Die ältesten Mythen Europas sind fast
«vollständig verloren gegangen» (S. 98). Und wer meint, genügend über
die Götter Europas gelesen zu haben, soll sich auf einige Überraschungen
gefasst machen. Wie viele wissen schon, dass die Göttin Demeter bis ins
19. Jh. in Gestalt der hl. Demetra verehrt wurde? Wenige.
Wilkinson
und Philip warten freilich auch mit dem Gilgamesch-Epos auf, mit El,
Marduk und Baal. Den Göttern der Hindus, Azteken, Shintoisten und
anderer Ethnien. Auch die Mythen der amerikanischen Ureinwohner
(«Indianer») haben sie miteinbezogen, sogar auf das Weltbild der Inuit
(«Eskimos») dürfen wir einen kurzen Blick werfen. Letztere verehren gar
keine Götter, sie kennen nur die Geister der Tiere, die sie jagen.
Ist
der Leser nicht in der Mythologie versiert, werden ihn die vielen
Ähnlichkeiten zwischen den Mythen verschiedenster Kulturen sicher
überraschen. Denn ein roter Faden durchzieht sie alle: der Kosmotheismus
ihrer Völker. Bei fast allen Ethnien befinden sich die Götter innerhalb
des Seins, so auch die Ursache für die Entstehung der Welt, und das
Universum ist entweder ungeschaffen oder selbstentstanden. Die Götter
sollen lediglich Ordnung ins ursprüngliche Chaos gebracht haben, so z.B.
Pan-Ku. Je mehr wir im Buch lesen, desto farbenfroher und plastischer
wird unser Bild von der Ethnosphäre.
Ich
habe die Lektüre genossen, nicht zuletzt wegen der großartigen Bilder
zum Text. Viele Motive aus der Mythologie wurden abgebildet, darunter
auch ein Abbild des des «Sonnenwagen von Trundholm» (hat einen
Durchmesser von 25 cm und stammt aus dem 14. Jahrhundert vor unserer
Zeitrechnung. S. 98). Aufmachung, Layout und Einband sind von erster
Qualität. Der Text lässt sich gut lesen. Der Übersetzer hat eine gute
Arbeit geleistet. Ich kann «Mythologie kompakt» wärmstens und ohne
Vorbehalte allen Lesern weiterempfehlen, die einen Einstieg in die Welt
der Mythen suchen. Auch als Geschenk wäre das Buch eine gute Idee.