Rezension zu: Th. Kakridis, Die alten Hellenen im neugriechischen Volksglauben, 1. Auflage, München 1967.
Wie
alle Werke, deren Autoren an der künstlichen und widersprüchlichen
Einheit von Hellas und Byzanz festhalten, hinterlässt auch dieses nach
einen eigenartigen Beigeschmack. Verantwortlich dafür ist die nebulös
bleibende Vorstellung einer Einheit zweier Kulturen, die
unterschiedlicher nicht sein könnten. Kakridis glaubte an eine
ununterbrochene hellenische Tradition, sprich: die Kontinuität der
letzten in der byzantinischen, oder korrekter, romäischen. Denn die
griechischsprachigen Christen, die wir heute irrtümlicherweise
«Byzantiner» nennen, nannten sich ursprünglich Romäer. Dies änderte sich
offiziell erst vor zweihundert Jahren aus eher politischen Gründen und
noch dazu unter europäischem Einfluss. Insgeheim zog sich das Festhalten
an der Selbstbezeichnung «Romios» bis in die Mitte des 20. Jh.s.
Um
die Kluft zwischen den verfeindeten Welten des Hellenentums und der
Romiosini zu überbrücken, fabulierten romäische Historiker wie Zambelios
oder der Nationalist Paparrigopoulos eine «Einheit» der beiden, die in
Griechenland bis heute als Faktum dargestellt wird. Der Völkermord der
«Byzantiner» an den Hellenen wird dabei geflissentlich übergangen.
Kakridis kannte mit hoher Wahrscheinlichkeit die wahre Natur der
Beziehung der beiden Kulturen zueinander, hielt aber an der Legende der
Kontinuität fest. Dabei hält er selber fest, wie die Erinnerung an
Hellas im Mittelalter verblasst ist, trotz vermeintlicher Bestrebungen
seitens des Klerus, dieser Entwicklung ein Ende zu setzen. Und das,
obwohl er zugibt, dass die Kirche ihren eigenen Feldzug gegen die
überlieferten hellenischen Sitten führte.
Doch
in den Volksliedern und Erzählungen der Romiosini überlebte ein Bild
von den Hellenen, das eine völlig andere Geschichte erzählt. Aber auch
der «apostelgleiche» «Volkslehrer» Kosmas von Ätolien fand es noch zu
seiner Zeit nötig, den Unterschied zwischen Hellenen und Romäern zu
akzentuieren: «Ihr seid keine Hellenen … sondern fromme orthodoxe
Christen!» (S. 10). Denn als Hellenen galten weiterhin allein die
Ethniker, oder «Götzendiener», wie sie immer noch genannt werden. Diese
wurden noch im 20. Jh. von den orthodoxen Christen in Griechenland als
Riesen von «gigantischem Wuchs» gedacht, welche, wenn sie auf den Boden
fielen, nicht mehr aufstehen konnten und deshalb starben; von ihnen
wurde erzählt, dass sie in der «früheren Zeit in unserer Gegend …
lebten». Die antiken Tempel waren der Beweis für die Existenz dieser
«Riesen». In anderen Erzählungen heißt es, dass Gott sie wegen ihrer
Schlechtigkeit ausrotten ließ, sie verfluchte, auf Kreta erzählte man
sich noch im 20. Jh., dass die «Hellenen» von einem Erzengel
niedergemäht wurden. Außerdem galten die «Franken», die Westeuropäer,
als Nachfahren dieser «Hellenen».
Solche
und andere Erzählungen, Lieder, Sprichwörter und Märchen geben einen
eindrucksvollen Einblick in die Vorstellungswelt der christlichen
Neugriechen der letzten zweihundert Jahren. Sie sind, soweit ich weiß,
in keinem anderen deutschsprachigen Werk veröffentlicht worden und das
macht den Wert dieses Büchleins aus. Interessant ist auch, dass der Kult
der Göttin Demeter im Dorf Eleusis nahe Athen bis zum Ende des 19. Jhs.
überlebt hatte.
Nicht
zuletzt ehrt Kakridis Nikolaos Politis, den ersten wissenschaftlichen
Volkskundler des neuzeitlichen Griechenland, der das alte «Volksgut»
erkundete und sehr viele alte Lieder und Erzählungen schriftlich
festhielt. Das ist dem Autor hoch anzurechnen, denn ohne die Arbeit von
Politis wären diese Erzählungen dem Vergessen anheimgefallen.
Für
das Verständnis des heutigen Griechenland kann der Wert dieser Lektüre
gar nicht überschätzt werden. Es mag wohl seine Gründe haben, weshalb
seine Veröffentlichung in Griechenland keine entsprechende Beachtung
geschenkt wurde.