12.06.2018

Pierre Chuvin, A Chronicle of the last Pagans

Rezension zu: Pierre Chuvin, A Chronicle of the last Pagans.

Pierre Chuvin, ein französischer Gelehrter, hat mit «A Chronicle of the last Pagans» ein einzigartiges Buch geschrieben. Er räumt mit sehr vielen Vorurteilen auf und steht dabei mit beiden Beinen fest auf dem Boden der Quellenforschung.

Die Spätantike wird von Chuvin nicht als eine Zeit des Verfalls behandelt, sondern als eine Zeitepoche großer Veränderungen, der weithin mit Voreingenommenheit begegnet wurde. Das Christentum hat in dieser Zeit all seine Gegner ausgelöscht und seine alleinige Vormachtstellung im Mittelmeerraum erreicht. Doch wie genau ist das vonstatten gegangen?

In den meisten Büchern werden wir lesen, dass die ethnischen Religionen (Ethnismus, «Paganismus») sich überlebt hätten, das Christentum der Menge große soziale Aufstiegsmöglichkeiten bot, Hoffnung, ja, eine bessere Lebensperspektive. Mit karitativen Einrichtungen, freundlichen Worten konnte es das Herz der Menschen für sich gewinnen und kam auch dem Wunsch so mancher Kaiser nach einer Einheit des Reiches entgegen. Manches davon mag stimmen, keine Frage. Jedoch wird der wichtigste Faktor fast immer übergangen oder nur nebenbei erwähnt: die Verfolgung und Ausrottung der ethnischen Religionen Griechenlands, Roms, Ägyptens, Armeniens; der Mysterienkulte und andersdenkender christlicher Sekten. Die Mysterienkulte machten dem Christentum die größte Konkurrenz; Eusebius von Caesarea hasste den Asklepios von allen Göttern am meisten, weil er Jesus Konkurrenz machte und seine Tempel immer noch die Massen anzogen.

Bei den Ethnikern («Paganisten») wuchs die Überzeugung, dass mit dem Erscheinen des Christentums der Verfall des Menschengeschlechts begonnen habe.
Religiöser Zwist, der zu bürgerkriegsähnlichen Zustanden auf den Straßen ausuferte, Fanatismus, Zerstörungswut, Verleumdung, Verhetzung der Menge, das hat es vor dem Christentum so gar nicht gegeben. Verbrecher, die später zu Heiligen erklärt, die ganze Gemeinden terrorisierten, Mönchsbanden, die Tod und Schrecken verbreiteten, Liebesbekundungen und Anstiftung zur Verfolgung, das Primat einer Religion über den Staat, Erpressung der Kaiser durch Bischöfe, Verblödung der Massen, Judenpogrome, Betrügereien und Wunderglauben wie Sand am Meer hören auf Namen wie Paulus, Ambrosius, Chrysostomos und Augustinus.

Der Verfasser schaut sich auch die Christenverfolgungen genau an und stoßt dabei auf sehr viele Übertreibungen. Dieser Teil ist besonders von Interesse, zumindest für mich.
Chuvin beweist, dass der Ethnismus nicht am Ende gewesen ist, sondern erst verboten, dann unterdrückt und schließlich ausgemerzt wurde, mit Hilfe wütender Mönche und des weltlichen Armes. Unzählige kaiserliche Verbote beweisen die Widerstandskraft der ethnischen Traditionen, des «Paganismus», wie Chuvin sie neutral nennen möchte. Dieser Begriff wird vom Autoren von allen Seiten beleuchtet, als «Religion der Heimat» definiert, wobei er sorgsam auf die Abgrenzung zum «Neopaganismus» achtet, der, wie er so schön sagt, mit dem Polytheismus eines Proklos oder eines Julian nichts zu tun hat, noch weniger mit ihrer Tradition.

Den Ethnismus gab es noch unter Tiberius, in Griechenland bis ins 10. Jh., in Harran bis ins 11. Jh., wo er dann vom Islam ausgemerzt wurde. Im 15. Jh. erfuhr der hellenische Ethnismus durch den Philosophen Plethon eine kraftvolle Wiederbelebung. In Rom lebte der Ethnismus «nur» bis ins 6. Jh. weiter. Kaiser Julian war kein Romantiker, er war sich des christlichen Einflusses bewusst, baute aber auf eine Weltanschauung, die noch weit verbreitet war, vor allem in den Kreisen der Gelehrten. Die späteren Kaiser, allen voran Theodosius I. Versuchten dem ein Ende zu machen, doch ist es Justinian gewesen, der die Gewissensfreiheit abgeschafft hat.

Im Buch wird der Charakter des Ethnismus hervorgehoben; ihm ging es nicht um den «Glauben», sondern um den Kult. Letzterer war Bestandteil des sozialen Konformismus, sodass der Antikonformismus als Konfessionslosigkeit gedeutet wurde.
Schon unter Konstantin wurde der Ethnismus gebeutelt; Konstantin «der Große», ein Familienmörder sondergleichen und Heiliger der orthodoxen Kirche (Festtag der 21. Mai), wird nachgesagt, er wäre ein milder Kaiser gewesen, in Wahrheit aber hatte er sehr viele Tempel und Altäre vernichtet und Götterbildnisse entweiht, ja, dem Spott der christlichen Menge ausgesetzt. An diesem Punkt zeigt sich, wie sehr moderne Historiker lügen, verleugnen und Tatsachen verdrehen und Geschichte im Sinne der Zeit schreiben. Das Christentum blieb als einzige Religion übrig, weil es alle anderen, allen voran die die «Ketzer» und «Heiden», in ihrem eigenen Blute erstickte.

Skythopolis, Heliopolis und Antiochien wurden für die Ethniker zu wahren Schlachthäusern.
Zwar hatte Theodosius am 8. November 392 alle andren Kulte verboten, doch blieben seine Erlasse wirkungslos. Weniger wirkungslos war die Vernichtung der Göttertempel und Altäre in Nordafrika. Unter Valentinian und Valens wurde die Terrorherrschaft forciert. Unter Justinian wurden in Kleinasien ca. 90000 «Heiden» bekehrt, die Philosophie verboten, die Akademie in Athen geschlossen, viele Ethniker in Konstantinopel eingekerkert, entrechtet, verbannt, gefoltert und getötet; unzählige hellenische Ärzte, Anwälte, Rhetoriker, Philosophen und Aristokraten ließ er über die Klinge springen. Die Liste der Grausamkeiten ist schier endlos. Und doch wird z.B. auf Wikipedia (Artikel: «Heidenverfolgung») verharmlost, unterschlagen, voller Unwahrheiten gestreut. Doch nimmt Wikipedia sowieso niemand ernst, schlimmer sind die Lügen der Historiker, die ganz bewusst die Unwahrheit sagen oder verniedlichen, so tun, als wäre der Siegeszug des Christentums ein Naturphänomen gewesen, hier und da zwar etwas Zwang ausgeübt, aber im Ganzen doch friedlich verlaufen.

Chuvin macht Schluss damit, zwar dringt er nicht so tief wie Karlheinz Deschner ein, doch klärt er unerbittlich. Er verzichtet vollständig auf Übertreibungen und Polemik, kämpft nicht für eine Seite und gegen ein andere, und genau das ist ihm hoch anzurechnen. Deshalb kann ich sein Buch nur vorbehaltlos weiterempfehlen. Es öffnet die Augen der Leserschaft und lässt sie mit anderen Augen auf die Vergangenheit schauen. Er ist mit Leib und Seele Historiker, einer der letzten großen Gelehrten unsrer Zeit, behaupte ich zu sagen. Er führt sorgfältig die Nachweise auf und differenziert, wo andere nur verallgemeinern wollen. Er ist bestrebt, uns diesen Aspekt der Spätantike nahezubringen und das geistige Klima dieser Zeit zu erklären, denn fürwahr: es ist eine sehr bedeutende Zeit gewesen, da Europa am Scheideweg stand und eine Epoche zu Ende ging.

Ich bedanke mich herzlich an den Autoren und an die Universität von Harvard für dieses bemerkenswerte Buch der Aufklärung.