Rezension zu: Pierre Chuvin, A Chronicle of the last Pagans.
Pierre
Chuvin, ein französischer Gelehrter, hat mit «A Chronicle of the last
Pagans» ein einzigartiges Buch geschrieben. Er räumt mit sehr vielen
Vorurteilen auf und steht dabei mit beiden Beinen fest auf dem Boden der
Quellenforschung.
Die
Spätantike wird von Chuvin nicht als eine Zeit des Verfalls behandelt,
sondern als eine Zeitepoche großer Veränderungen, der weithin mit
Voreingenommenheit begegnet wurde. Das Christentum hat in dieser Zeit
all seine Gegner ausgelöscht und seine alleinige Vormachtstellung im
Mittelmeerraum erreicht. Doch wie genau ist das vonstatten gegangen?
In
den meisten Büchern werden wir lesen, dass die ethnischen Religionen
(Ethnismus, «Paganismus») sich überlebt hätten, das Christentum der
Menge große soziale Aufstiegsmöglichkeiten bot, Hoffnung, ja, eine
bessere Lebensperspektive. Mit karitativen Einrichtungen, freundlichen
Worten konnte es das Herz der Menschen für sich gewinnen und kam auch
dem Wunsch so mancher Kaiser nach einer Einheit des Reiches entgegen.
Manches davon mag stimmen, keine Frage. Jedoch wird der wichtigste
Faktor fast immer übergangen oder nur nebenbei erwähnt: die Verfolgung
und Ausrottung der ethnischen Religionen Griechenlands, Roms, Ägyptens,
Armeniens; der Mysterienkulte und andersdenkender christlicher Sekten.
Die Mysterienkulte machten dem Christentum die größte Konkurrenz;
Eusebius von Caesarea hasste den Asklepios von allen Göttern am meisten,
weil er Jesus Konkurrenz machte und seine Tempel immer noch die Massen
anzogen.
Bei
den Ethnikern («Paganisten») wuchs die Überzeugung, dass mit dem
Erscheinen des Christentums der Verfall des Menschengeschlechts begonnen
habe.
Religiöser
Zwist, der zu bürgerkriegsähnlichen Zustanden auf den Straßen
ausuferte, Fanatismus, Zerstörungswut, Verleumdung, Verhetzung der
Menge, das hat es vor dem Christentum so gar nicht gegeben. Verbrecher,
die später zu Heiligen erklärt, die ganze Gemeinden terrorisierten,
Mönchsbanden, die Tod und Schrecken verbreiteten, Liebesbekundungen und
Anstiftung zur Verfolgung, das Primat einer Religion über den Staat,
Erpressung der Kaiser durch Bischöfe, Verblödung der Massen,
Judenpogrome, Betrügereien und Wunderglauben wie Sand am Meer hören auf
Namen wie Paulus, Ambrosius, Chrysostomos und Augustinus.
Der
Verfasser schaut sich auch die Christenverfolgungen genau an und stoßt
dabei auf sehr viele Übertreibungen. Dieser Teil ist besonders von
Interesse, zumindest für mich.
Chuvin
beweist, dass der Ethnismus nicht am Ende gewesen ist, sondern erst
verboten, dann unterdrückt und schließlich ausgemerzt wurde, mit Hilfe
wütender Mönche und des weltlichen Armes. Unzählige kaiserliche Verbote
beweisen die Widerstandskraft der ethnischen Traditionen, des
«Paganismus», wie Chuvin sie neutral nennen möchte. Dieser Begriff wird
vom Autoren von allen Seiten beleuchtet, als «Religion der Heimat»
definiert, wobei er sorgsam auf die Abgrenzung zum «Neopaganismus»
achtet, der, wie er so schön sagt, mit dem Polytheismus eines Proklos
oder eines Julian nichts zu tun hat, noch weniger mit ihrer Tradition.
Den
Ethnismus gab es noch unter Tiberius, in Griechenland bis ins 10. Jh.,
in Harran bis ins 11. Jh., wo er dann vom Islam ausgemerzt wurde. Im 15.
Jh. erfuhr der hellenische Ethnismus durch den Philosophen Plethon eine
kraftvolle Wiederbelebung. In Rom lebte der Ethnismus «nur» bis ins 6.
Jh. weiter. Kaiser Julian war kein Romantiker, er war sich des
christlichen Einflusses bewusst, baute aber auf eine Weltanschauung, die
noch weit verbreitet war, vor allem in den Kreisen der Gelehrten. Die
späteren Kaiser, allen voran Theodosius I. Versuchten dem ein Ende zu
machen, doch ist es Justinian gewesen, der die Gewissensfreiheit abgeschafft hat.
Im
Buch wird der Charakter des Ethnismus hervorgehoben; ihm ging es nicht
um den «Glauben», sondern um den Kult. Letzterer war Bestandteil des
sozialen Konformismus, sodass der Antikonformismus als
Konfessionslosigkeit gedeutet wurde.
Schon
unter Konstantin wurde der Ethnismus gebeutelt; Konstantin «der Große»,
ein Familienmörder sondergleichen und Heiliger der orthodoxen Kirche
(Festtag der 21. Mai), wird nachgesagt, er wäre ein milder Kaiser
gewesen, in Wahrheit aber hatte er sehr viele Tempel und Altäre
vernichtet und Götterbildnisse entweiht, ja, dem Spott der christlichen
Menge ausgesetzt. An diesem Punkt zeigt sich, wie sehr moderne
Historiker lügen, verleugnen und Tatsachen verdrehen und Geschichte im
Sinne der Zeit schreiben. Das Christentum blieb als einzige Religion
übrig, weil es alle anderen, allen voran die die «Ketzer» und «Heiden»,
in ihrem eigenen Blute erstickte.
Skythopolis, Heliopolis und Antiochien wurden für die Ethniker zu wahren Schlachthäusern.
Zwar
hatte Theodosius am 8. November 392 alle andren Kulte verboten, doch
blieben seine Erlasse wirkungslos. Weniger wirkungslos war die
Vernichtung der Göttertempel und Altäre in Nordafrika. Unter Valentinian
und Valens wurde die Terrorherrschaft forciert. Unter Justinian wurden
in Kleinasien ca. 90000 «Heiden» bekehrt, die Philosophie verboten, die
Akademie in Athen geschlossen, viele Ethniker in Konstantinopel
eingekerkert, entrechtet, verbannt, gefoltert und getötet; unzählige
hellenische Ärzte, Anwälte, Rhetoriker, Philosophen und Aristokraten
ließ er über die Klinge springen. Die Liste der Grausamkeiten ist schier
endlos. Und doch wird z.B. auf Wikipedia (Artikel: «Heidenverfolgung»)
verharmlost, unterschlagen, voller Unwahrheiten gestreut. Doch nimmt
Wikipedia sowieso niemand ernst, schlimmer sind die Lügen der
Historiker, die ganz bewusst die Unwahrheit sagen oder verniedlichen, so
tun, als wäre der Siegeszug des Christentums ein Naturphänomen gewesen,
hier und da zwar etwas Zwang ausgeübt, aber im Ganzen doch friedlich
verlaufen.
Chuvin
macht Schluss damit, zwar dringt er nicht so tief wie Karlheinz
Deschner ein, doch klärt er unerbittlich. Er verzichtet vollständig auf
Übertreibungen und Polemik, kämpft nicht für eine Seite und gegen ein
andere, und genau das ist ihm hoch anzurechnen. Deshalb kann ich sein
Buch nur vorbehaltlos weiterempfehlen. Es öffnet die Augen der
Leserschaft und lässt sie mit anderen Augen auf die Vergangenheit
schauen. Er ist mit Leib und Seele Historiker, einer der letzten großen
Gelehrten unsrer Zeit, behaupte ich zu sagen. Er führt sorgfältig die
Nachweise auf und differenziert, wo andere nur verallgemeinern wollen.
Er ist bestrebt, uns diesen Aspekt der Spätantike nahezubringen und das
geistige Klima dieser Zeit zu erklären, denn fürwahr: es ist eine sehr
bedeutende Zeit gewesen, da Europa am Scheideweg stand und eine Epoche
zu Ende ging.
Ich bedanke mich herzlich an den Autoren und an die Universität von Harvard für dieses bemerkenswerte Buch der Aufklärung.