31.03.2020

Die Götter in unseren Träumen

Selten hören wir von Menschen, die berichten, in ihren Träumen diesen oder jenen Gott gesehen zu haben. Manche sehen darin lediglich einen Beweis für die Bilderkraft der menschlichen Psyche, andere ein göttliches Zeichen. Dass dieses Thema selten öffentlich diskutiert wird, liegt daran, dass es eine persönliche Erfahrung ist, die nur für den einzelnen Menschen Bedeutung hat. Ein solcher Traum, die Erscheinung eines Gottes, geht nur diesen einen Menschen und vielleicht seine Familie etwas an; er übermittelt eine Botschaft, eine Information oder Rat, den dieser Mensch braucht oder die Lösung für ein Problem, das ihn gerade beschäftigt. Ein solcher Traum ist nicht ein Zeichen dafür, dass dieser Mensch etwas besonderes ist, macht ihn nicht zu einem religiösen Anführer oder «Propheten», zumal es im Hellenismos keine Propheten, keine Prediger und keine Missionare gibt. Im Kult wird den Göttern geopfert, nicht gepredigt. Der Mensch, der einen solchen Traum erhalten hat, wird nicht zum Verkünder eines göttlichen Willens noch muss er irgend eine Art von «Zeugnis» ablegen. Wie schon gesagt, es ist eine sehr persönliche Erfahrung, die nur diesen Menschen betrifft. Solche Träume berechtigen zu gar nichts: sie verleihen keine Autorität, keine Macht, keine Botschaft, die verkündet und von allen befolgt werden müsste.

Es ist eine sehr persönliche Erfahrung, zum einen, weil Träume persönlich sind, und zum anderen deshalb, weil solche Träume einen Rat oder eine Botschaft an den Träumenden übermitteln. Wir beten zu den Göttern, wir bitten sie, die Heroen oder die Ahnen um Hilfe oder Rat in einer Angelegenheit, die uns sehr wichtig ist und die wir aus eigener Kraft nicht bewältigen können. In einer natürlichen Welt tritt die Hilfe auf natürliche Weise in Erscheinung, ohne Lichteffekte oder eine bezwingende Art, die den Menschen überwältigt und seinen Willen bricht. Die Götter sind sich ihres Seins bewusst und müssen sich nicht beweisen. Sie sind nicht auf die Sterblichen angewiesen.

Wie auch immer wir solche Träume bewerten mögen, es ist klar, dass sie kein «Argument» sind, in Diskussionen kein «Recht» verleihen oder uns über andere Menschen erheben. Wenn wir der Meinung sind, einen solchen Traum erhalten zu haben, sollten wir ihn in Bescheidenheit annehmen und den Göttern dafür danken, aber nicht damit hausieren gehen. Solche Erlebnisse sind sehr intim. Daher sollten wir gut überlegen, wie wir damit umgehen wollen.

Träume, in denen Götter oder Ahnen vorkommen, können auch eine Antwort auf ein Gebet oder eine Frage sein. Ob eine Bitte angenommen und wie sie beantwortet wird, liegt allein bei den Göttern. Wir sollten ihren Willen respektieren und auf ihre Weisheit vertrauen. Wenn das Schicksal oder die Notwendigkeit es erlaubt, werden die Götter uns helfen. Wann und wie sie uns allerdings helfen wollen, liegt wiederum ganz bei ihnen.

Es gibt auch andere Fälle, in denen Menschen von den Göttern träumen können, etwa, um Selbsterkenntnis zu erlangen oder um Weisheit oder Zeichen von den Göttern, Anleitung, Führung, Beistand, selbst dann, wenn keine große Not vorliegt. In den Tempeln des Asklepios haben die Menschen geträumt, wie der Gott sie besucht und geheilt hat oder wie er ihnen sagte, welche Behandlung die richtige für ihr Leiden ist. Auch das gehört zum Hellenismos. Menschen, die die Götter suchen und die Angleichung an ihr Wesen durch die Praxis der Arete, können ebenfalls Träume oder Zeichen von den Göttern, Daimonen etc. erhalten. Wie schon gesagt, es ist eine sehr persönliche Erfahrung, ein Geschenk, das in Ehren gehalten werden sollte. Und auch wenn diese Erfahrung für die Gemeinschaft nicht relevant ist, kann sie den Einzelnen tief in seiner Seele berühren und sein Innerstes wandeln.